Es war die 57. Minute gespielt, die Fans erhoben sich bereits von den Plätzen, es herrschte Oktoberfeststimmung und ein Gänsehautschauer nach dem anderen jagte einem als Fan des SV Beckdorf über den Rücken.
Grund dafür war neben dem überragenden Auftritt der Hausherren vor allem einer – Benjamin Murray. Der ehemalige britische Nationalspieler hatte sich nach der schweren Verletzung von Vito Clemens dazu bereit erklärt, die entstandene Lücke im linken Rückraum zu schließen. Und sein Comeback konnte man getrost unter dem Motto „Phoenix aus der Asche“ abstempeln. Murray war an diesem Tag überall. In der Deckung kaum zu überwinden, pfeilschnell im Konter, geschickt im Zweikampf und treffsicher aus der Distanz, kurzum – ihm gelang schier alles.
Dann die 57. Spielminute. Murray stibitzte sich den Ball, ging in den Konter. Den vor ihm auflaufenden Delmenhorster will er mit seinem gefürchteten Wackler stehenlassen. Das Knie knickt weg, Murray liegt vor Schmerzen schreiend auf dem Hallenboden. Es ist, als hätte jemand den Stecker gezogen. Nichts mehr mit Oktoberfest, keine Jubelgesänge. Es ist mucksmäuschenstill auf dem Delm. Beckdorfs Trainer Daniel Untermann hat mehr als nur eine Sorgenfalte und das, obwohl sein Team soeben einen Kantersieg der feinsten Güte herausgespielt hatte.
„Das war für mich der schlimmste Moment der ganzen Saison. Ich hatte Gänsehaut, als die Fans Ben empfingen, war gerührt, als er sich in solch einen Rausch spielte. Und wusste nicht wohin mit mir, nachdem er dann dick bandagiert in der Kabine saß.“, beschreibt der Trainer seine Gefühlslage an diesem Tag. Für Murray begann das bange Warten auf die Befunde aus dem MRT, doch Untermann hatte zu dem Zeitpunkt schon keine Hoffnung. „Wenn Du selber mehrfach das Kreuzband gerissen hattest, bekommst Du einen Blick dafür, ich kann das gar nicht beschreiben. Aber ich wusste, dass die Saison für Ben beendet ist, im Hand- und Fußball. Ich war unglaublich traurig, dass solch eine wahnsinnig grandiose Geste so endet.“, so Untermann.
Mittlerweile ist einige Zeit ins Land gegangen, die Operation erfolgt. Murray arbeitet nun an seinem Comeback, allerdings nicht mehr auf das Handballfeld. Er will zurück auf den Rasen, als Fußballer des Buxtehuder SV noch einmal zeigen, dass er es immer noch kann. Beim Handball ist er trotzdem fast jedes Wochenende, wenn „sein“ Team spielt. Und auch die Meisterschaftsfeier will er sich nicht entgehen lassen. „Da erwarte ich ihn ganz vorne.“, will Untermann seinem tragischen Helden ein letztes Mal die Handballbühne geben, die er sich seiner Meinung nach verdient hat. As Teil des Erfolges, siebenfacher Torschütze, Helfer in der Not und leuchtendes Beispiel für sofortige Hilfe, wenn Freunde in Not sind. „Dafür gebührt ihm auf ewig mein Dank.“, so Untermann, der seine Mannschaft derweil auf die nächste Aufgabe vorbereitet.
Die HSG Delmenhorst steht mittlerweile mit dem Rücken zur Wand und ist verdammt dazu, möglichst rasch viele Punkte einzufahren, um eine realistische Chance auf den Klassenerhalt zu haben. Untermann ist über die schlechte Platzierung überrascht. Er hatte den Aufsteiger um Spielertrainer André Haake deutlich stärker eingeschätzt. Doch eine Verletzungsmisere, ähnlich der des SV Beckdorf, warf die HSG permanent zurück. Nach einem nicht erwarteten Debakel in heimischer Halle gegen den Elsflether TB vor zwei Wochen, gelang mit dem 31:28 Sieg bei der TSG Hatten Sandkrug nun aber eine Art Befreiungsschlag. Doch nun folgen für die Delmenhorster zwei auf dem Papier unmögliche Partien. Sowohl mit Beckdorf, als auch mit Barnstorf als neuem Tabellenzweiten müssen sich die Gastgeber messen. Was in der Hinrunde noch mit den üblichen Floskeln „dort kann man befreit aufspielen“ abgetan werden konnte, ist in der derzeitigen Situation nicht mehr möglich. Jeder Punkt, der irgendwie reingeholt werden kann, soll erkämpft werden. „Genau das ist die Gefahr, wir müssen uns wieder absolut fokussieren und die guten Leistungen der letzten Wochen und Monate erneut auf das Feld bringen, wollen wir den Nimbus der weißen Weste wahren.“, gibt Untermann die Marschroute vor. Während Routinier Stefan Völkers wieder mit an Bord ist, erwägt der Trainer seinem Kreisläufer Markus Bowe eine Pause zu gönnen. Bowe laboriert seit Wochen an einer schmerzhaften Schulterverletzung und soll im Saisonendspurt nicht noch ausfallen.
Foto: Moritz Frankenberg / moritzfrankenberg.de
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