Es war irgendwann in der 55. Minute – die Fans erheben sich von den Plätzen, Hallensprecher Jens Schippmann peitscht sie noch einmal an. Allen ist klar, hier sind sie Zeuge der letzten Minuten vor heimischer Kulisse einer ganz besonderen Mannschaft, ganz besonderen Akteuren, die ihren letzten Auftritt haben und dem Abgang einer Spielerlegende.
„Stefan Völkers – Handballgott“ und „Ihr seid längst Legenden“ hallt der Gesang durch das Dach der Halle auf dem Delm. Die HSG Schwanewede/Neuenkirchen war zwar stets bemüht, auf Augenhöhe zu bleiben, aber die Untermänner zeigten noch einmal, warum sie in solch übermächtiger Manier die gesamte Liga beherrschten. Als beim 39:28 dann der Abpfiff ertönt, entfacht sich ein tosender Jubel. So recht weiß niemand, was jetzt gleich passiert.
Doch nach einem Moment des Wartens ist er dann da, der Moment der Endgültigkeit. Der Moment, den es jedes Jahr aufs Neue gibt, wenn Sportler einen Verein verlassen. Doch dieses Mal ist es irgendwie anders. Die Torhüter Arturs Kugis und Dennis Zjezdzalka sind die ersten, die ein letztes Mal ins Publikum winken.
Dann tritt der Ausnahmeregisseur Maris Versakovs vor. Fünf Jahre lang war er das Gehirn der Mannschaft, schaffte es mehrfach die Torjägerkrone zu ergattern und war mit seiner Genialität einer der ganz besonderen Mannen, die je auf dem Delm für den SV Beckdorf aufliefen. Laufen tun auch die Tränen. Versakovs steht mit geröteten Augen vor seinem Publikum, fasst sich immer wieder ans Herz. Ganz so, als ob er sagen wolle ‚ich war mit ganzem Herzen dabei‘. Mehr als das – als Mittelmann der lettischen Nationalmannschaft blieb er nach dem bitteren Abstieg 2015 trotzdem und führte sein Team zurück in Liga drei. Er lebte den SV Beckdorf jeden Tag, ein Musterprofi und Vorbild für alle. Nun zieht es ihn zu einer neuen, vielleicht letzten Station als Spieler.
Kapitän Henning Scholz ist der nächste, der seine Emotionen kaum verbergen kann. Der Tausendsassa, pfeilschnell und in dieser Saison der erfolgreichste Torschütze, wird ebenso von den Massen auf der Tribüne gefeiert. Seine Tore wird nun ein anderer werfen müssen, die Fußstapfen, die er hinterlässt sind riesig. Er geht mit einem guten Gefühl nach fünf Jahren. Er geht als Kapitän dieser Ausnahmemannschaft. Er geht als Meister.
Der dramaturgische Spannungsbogen wird immer greifbarer. Als der scheidende Meistertrainer, Daniel Untermann, zur Verabschiedung gebeten wird, versagt ihm anfangs die Stimme. Doch der Medienprofi kannte sich selber gut genug, um Abhilfe zu schaffen. So ließ er die Gänsehautmomente der Saison in einem selbst zusammengestellten Videomitschnitt einspielen. Vom harten Work-Out, über Trainingslager, Siege und Titel, alles war dabei. Tränen laufen, „One moment in time“ dröhnt aus den Lautsprechern. Und ja, er genießt diesen Moment, als nach Ende des Videos die Zuschauer tosenden Beifall und stehende Ovationen spenden. Als er dann noch einmal eine Brandrede auf sein Team, seine Ziele und deren Erreichen hält, den Unruhestiftern ins Stammbuch notiert, dass auch sie dem ganzen nichts anhaben konnten und er „den Delm mit der ultimativen Gänsehaut“ verlässt, kennt der Jubel kaum noch eine Grenze. Der Trainer verneigt sich ein letztes Mal und macht dann Platz für den Mann des Abends.
Als Conférencier Günther Jonas zur absoluten Lobhudelei ausholt, hält niemand mehr die Tränen zurück. Auch nicht der Geehrte selber. Stefan Völkers lässt seinen Gefühlen freien Lauf, als die nicht enden wollenden Ovationen die Emotionen endgültig zum Überlaufen bringen. Er, der Harte und stets das Rampenlicht scheuende Inbegriff des Beckdorfer Leistungshandballs, die Ikone, das Kind des Dorfes, einer von ihnen eben. Selbst die hart gesottenen Männer auf der Tribüne können nun nicht mehr an sich halten. Die Nachfolger hat Völkers bereits an der Hand und auf dem Arm. Es sind seine eigenen Söhne, echte Handballerkinder, die eines Tages vielleicht in des Vaters Rolle schlüpfen könnten. Man merkt Völkers die Dankbarkeit an, die er all denjenigen gegenüber kaum ausdrücken kann, die seinen Weg unterstützt haben in der 30-jährigen Handballkarriere, allen voran seine Frau. Auch sie ist hin und weg, hält diesen Moment mit der Kamera fest. Seine längsten Weggefährten überreichen ihm dann auch das obligatorische letzte Trikot. Signiert – natürlich von seinem letzten Team, dem Team, welches ihn gehen lässt als das, was er für seine Fans eh immer war: als absoluten Champion. (mp)
Foto: Peter Jansen/jansenmedia.de
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